David Chaum hat sich um den Schutz der Privatsphäre im Internet bereits Gedanken gemacht, als die meisten Menschen mit dem Wort “Internet” noch gar nichts anfangen konnten. Schon in den frühen 1980er Jahren sagte Chaum als Informatiker an der University of California in Berkeley eine Welt voraus, in der Computernetzwerke eine Massenüberwachung möglich machen würden.
Für Chaum barg eine Welt, in der wir zunehmend von Maschinen vernetzt werden, große Gefahren. Mit der Weiterentwicklung der Computertechnik wuchs seine Überzeugung von den Bedrohungen, die diese Netzwerke darstellen könnten.
“Ich finde es traurig, aber es ist wirklich keine Überraschung, dass sich die Frage des Datenschutzes so entwickelt hat, wie sie sich entwickelt hat. Ich habe es in den frühen Veröffentlichungen in den 80er Jahren dargelegt”, sagte Chaum 2014 in einen Interview mit der BBC.
In seinem inzwischen legendär Papier “Untraceable Electronic Mail, Return
Addresses, and Digital Pseudonyms” wurde erklärt, dass es in einer zukünftigen Welt, in der wir zunehmend Computer benutzen würden, leicht sein würde, eine Massenüberwachung durchzuführen. Der Wissenschaftler wollte einen Weg finden, dies zu verhindern.
“Ich hatte immer das tiefe Gefühl, dass die Privatsphäre eng mit dem menschlichen Potenzial verbunden ist und dass sie ein außerordentlich wichtiger Aspekt der Demokratie ist”, sagte Chaum.
Chaum konzentrierte sich auf die neue Technologie der E-Mails. Jeder, der das Netzwerk beobachtete, durch das diese Nachrichten liefen, konnte enorm viel über diese Person herausfinden. Er wollte dies erschweren.
Heureka-Moment für David Chaum im VW-Bus
In dem BBC-Beitrag erinnert sich Chaum, wie er der Lösung einen wichtigen Schritt näher kam: “Als ich mit meinem VW-Wohnmobil von Berkeley nach Santa Barbara entlang der Küste fuhr, wusste ich nicht, wohin. Es war eine wunderschöne Landschaft. Ich fuhr einfach so dahin, und da kam mir der Gedanke, wie ich dieses Problem lösen könnte, das ich schon lange zu lösen versuche. Ja, es war eine Art Heureka-Moment. Ich hatte das Gefühl: Okay, das ist es.”
Chaums Fokus lag auf den Kommunikationsmustern (Pattern), die ein Computer im Netzwerk durchführt. Wenn dieses Muster mit Hilfe von Kryptographie verschleiert werden könnte, wäre es für jeden Beobachter schwieriger, Einzelpersonen zu identifizieren und eine effektive Überwachung durchzuführen. Und Chaums System hatte eine Besonderheit:
“Die Kryptographie wird traditionell dazu verwendet, den Inhalt von Nachrichten geheim zu halten. Also habe ich diese Technologie der Verschlüsselung genutzt, um die Metadaten darüber zu schützen, wer mit wem und wann spricht.”
Chaums große Leistung besteht darin, dass er das Problem nicht nur erkannt, sondern auch Prototyp-Systeme entwickelt hat, die eine solche Überwachung erschweren würden.
Das wichtigste davon war ein so genanntes Mix Network, das eine ausgeklügelte Kryptographie nicht zur Verschlüsselung des Inhalts einer Nachricht, sondern zur Verschleierung der Identität des Benutzers verwendete. Wie Chaum selbst zugibt, “war dies ein ziemlicher Paradigmenwechsel”.
David Chaum war seiner Zeit sehr weit voraus.
Chaums Erkenntnisse haben ihm den inoffiziellen Titel “der Pate der anonymen Kommunikation” eingebracht, da seine Systeme unter anderem die theoretische Grundlage für das moderne Tor-Netzwerk bildeten.
“David Chaum war seiner Zeit sehr weit voraus. Er sagte in den frühen 1980er Jahren die Probleme voraus, die 15 oder 20 Jahre später im Internet auftreten würden. Der gesamte Bereich der Verkehrsanalyse, der es ermöglicht, das Verhalten von Personen vorherzusagen, indem man sich nicht den Inhalt ihrer E-Mails, sondern die Kommunikationsmuster ansieht. David Chaum hat das in gewisser Weise vorausgesehen und das Problem gelöst”, ordnet Dr. Joss Wright von der Universität Oxford in dem BBC-Beitrag ein.
David Chaum war aber nicht nur der Vordenker des Tor-Netzwerks, sondern er beschäftigte sich schon in der ganz frühen Phase des World Wide Webs mit der Frage, wie Transaktionen im Netz ablaufen können, so dass die Sicherheit und Privatsphäre der Beteiligten gewahrt bleiben kann.
Die Benutzerfreundlichkeit des Web und die daraus resultierende Akzeptanz durch die Verbraucher in den 90er Jahren öffnete die Tür zu einem Wirtschaftsmodell mit enormem kommerziellen Potenzial. Auf der ersten World-Wide-Web-Konferenz am CERN (der Europäischen Organisation für Kernforschung) in Genf im Jahr 1994 war Chaum der erste Hauptredner. Er sprach sich für ein Web aus, das Währungen und Zahlungsformen unterstützt, so dass eine werbeunabhängige Online-Wirtschaft gefördert werden könnte. Der zweite Hauptredner, Tim Berners-Lee, konzentrierte sich dagegen mehr auf das Potenzial des Web zur Verbreitung von Informationen und Wissen, deutete dabei aber ein zukünftiges Medienmodell für das Web mit werbegestützten Webinhalten in der Tradition von Fernsehen, Zeitungen und Zeitschriften an.
In seiner Keynote demonstrierte Chaum auch, wie eine digtale Bezahlung im Web aussehen könnte, lange bevor das Bitcoin-Whitepaper veröffentlicht wurde.
Chaums transaktionsbasierte Vision wurde nicht von dem engen Ziel angetrieben, wirtschaftliche Aktivitäten online zu ermöglichen, sondern vielmehr von seinem Wunsch, eine Alternative zu Werbemodellen zu schaffen, die Anreize für die Sammlung persönlicher Daten durch zentralisierte Mächte, seien es Unternehmen oder Regierungen, bieten. Er war auch besorgt über die Gesundheit der Demokratie, wenn die Informationsverteilungskanäle monopolisiert werden.
In seinem Papier “Security without Identification: Transaction Systems to Make Big Brother Obsolete” (Sicherheit ohne Identifikation: Transaktionssysteme, die Big Brother überflüssig machen), das 1985 veröffentlicht wurde, hatte Chaum das Schreckgespenst eines großen, mächtigen Unternehmens aufgeworfen, das den Markt für die Monetarisierung persönlicher Informationen beherrscht:
“Anbieter von Informationsdiensten und andere wichtige Interessengruppen könnten beispielsweise die Kontrolle über verschiedene Informations- und Medienverbreitungskanäle behalten und gleichzeitig ihre Position durch ausgefeilte Marketingtechniken, die auf der Erfassung weitreichender Informationen über die Verbraucher beruhen, synergetisch festigen.”
Werbefinanzierung im Web hat sich durchgesetzt
Die schwerwiegenden Probleme für den Schutz der Privatsphäre, die sich aus dem Wachstum des Netzes ergeben haben, hatte Chaum also bereits in den 80er und 90er Jahren erkannt. Er konnte aber nicht verhindern, dass sich werbefinanzierte Modelle durchsetzten. Google wurde zum Tor zum Web und Facebook begann, die weltweite Gemeinschaft einzusammeln. Viele Anwenderinnen und Anwender störten sich auch nicht groß daran, dass die beiden Unternehmen dafür Nutzerdaten sammelten und zu Geld machten. Erst in jüngster Zeit, als die KI-gesteuerte Datenerfassung durch massive Werbeeinnahmen bereits auf Hochtouren lief, wurde das Problem für viele offensichtlich.
In jüngster Zeit macht sich Chaum Sorgen darüber, dass selbst die beste Verschlüsselung nicht mehr die Privatsphäre der Menschen schützen kann. In einem OpEd für Cointelegraph verwies der Krypto-Pionier auf die Fortschritte bei der Entwicklung von Quantencomputer in China. “Die Nachricht, dass zwei chinesische Wissenschaftlerteams den Quantenvorteil erreicht haben – ein technischer Begriff für den Fall, dass ein Computer Funktionen ausführen kann, die über die eines klassischen Computers hinausgehen – könnte das Signal dafür sein, dass wir wirklich in eine neue Ära eingetreten sind.” Während der 54-Qubit-Quantenprozessor Sycamore von Google das erste weithin bekannte Beispiel für Quantencomputer im Frühstadium gewesen sei, sei die jüngste Nachricht von der University of Science and Technology of China in Hefei der bisher beste Beweis dafür, “dass wir den Informationsrubikon überschritten haben”.
Am erschreckendsten für eine Gesellschaft, die so sehr auf das Internet angewiesen ist, sei die Tatsache, dass das Quantencomputing alle digitalen Infrastrukturen gefährde. “Unser heutiges Internet basiert auf der Kryptografie – der Verwendung von Codes und Schlüsseln zur Sicherung der privaten Kommunikation und der Speicherung von Daten.”, schrieb Chaum. Für Kryptowährungen wie Bitcoin (BTC) und Ether (ETH) könnte ein einziger ausreichend leistungsfähiger Quantencomputer den Diebstahl von Werten in Milliardenhöhe oder die völlige Zerstörung einer ganzen Blockchain bedeuten. Da digitale Signaturen plötzlich leicht zu fälschen sind, werde das Konzept des “Besitzes” einer Brieftasche altmodisch erscheinen.
Außerdem zeige die Geschichte, dass man nicht nur Hacker, Cyber-Terroristen und kriminelle Organisationen fürchten müsse, sondern auch Regierungen. “Die Enthüllungen von Chelsea Manning und Edward Snowden im letzten Jahrzehnt haben der Welt gezeigt, was die mächtigste Regierung der Welt tun könnte (und würde), wenn niemand hinsieht. Autoritäre Mächte wie Russland und China haben ihre ausgefeilten Methoden, um ihre Bevölkerung zu zwingen und zu kontrollieren. Das Quantencomputing würde ihre Tyrannei nur noch verstärken.”
In dem Beitrag für Cointelegraph brachte Chaum sein xx-Netzwerk als wirksamen Schutz vor diesen Gefahren ins Gespräch: “Mein Team und ich im xx-Netzwerk haben die letzten Jahre damit verbracht, mit unserer quantensicheren Blockchain Pionierarbeit zu leisten, um eine Möglichkeit zur Lösung dieses Problems zu finden. Die Hinzufügung einer weiteren Ebene zum Schutz der Privatsphäre mit unserem Flaggschiff, dem xx messenger, der Metadaten schreddert, wird eine weitere Möglichkeit sein, sich gegen mit Quanten bewaffnete bösartige Akteure zu schützen.”
In der Rubrik “Krypto-Köpfe” sind folgende Porträts erschienen:’